Wer am heutigen Tage die englischsprachige Wikipedia aufsuchte, stand vor „verschlossener Tür“ und sah einen nahezu schwarzen Bildschirm. Hintergrund hierfür ist der 24-stündige Blackout Day, an der sich zahlreiche Websites beteiligen, die damit gegen zwei amerikanische Gesetzesentwürfe, den Stop Online Piracy Act (SOPA) und den Protect IP Act (PIPA) protestieren. Ziel dieser Gesetzesinitiative ist der Schutz der Wirtschaftsinteressen amerikanischer Copyright-Inhaber, deren Inhalte aber weit über die Grenzen der USA negative Auswirkungen auf das Web und uns Bürger innen und Bürger haben wird. Warum?
Technisch geht es um die Manipulation einer der zentralen Schaltstelle des Internet, des Domain Name Systems (DNS). Dort erfolgt die Zuordnung der Internet-Adresse einer Website (URL) zum Standort des Rechners, auf dem die Daten der Website gespeichert sind. Also wie bei einem Telefonbuch, wo man anhand des Namens der gesuchten Person dessen Telefonnummer erfahren kann. Und hier sehen die US-Gesetzentwürfe vor, dass Rechte-Inhaber – also Privatpersonen und private Unternehmen – sogar ohne richterliche Anordnung bei Verdacht auf Verletzung von Urheberrechten u.a. folgende Maßnahmen einleiten können:
- Internetdienstanbieter müssen den Zugang zu der betroffenen Website verhindern
- Suchmaschinen und Websites, die eine Suchfunktion anbieten – also nahezu alle – müssen Links zu der betroffenen Website filtern
- Zahlungsdienstleister (Kreditkartenunternehmen, PayPal etc.) müssen Konten und Zahlungen einfrieren,
- Werbedienstleister müssen ihre Dienste und Zahlungen zu der betroffenen Website einstellen
China läßt grüssen!
Die Digitale Gesellschaft e.V. hat in einer Pressemitteilung unter der Überschrift Warum SOPA auch uns angeht wie folgt Stellung genommen:
Internetprovider sollen gezwungen werden, Inhalte proaktiv zu überwachen, Inhalte sollen gesperrt, Suchmaschinen-Treffer nicht mehr angezeigt und Verlinken strafbar werden. […] Durch eine umfassende Providerhaftung sollen Plattformbetreiber und ISPs gezwungen werden, ihre Nutzer aktiv zu überwachen, Inhalte zu sperren und Suchergebnisse zu zensieren. Was bei Telefon und Post nicht durchsetzbar wäre, soll im Internet gemacht werden, einfach weil es technisch möglich ist. Auch das Setzen von Links könnte strafbar werden. Doch wer kann sich sicher sein, dass hinter einem Link keine Urheberrechtsverletzung zu finden ist? Und sich der Inhalt hinter dem Link nicht ändert?
Und Welt-Online kommentiert die US-Gesetzentwürfe unter der Überschrift Stoppt das „Guantanamo-Gesetz“ für das Internet! wie folgt:
Im Kampf gegen Raubkopierer planen die USA schwerste Eingriffe in das Internet. Bei allem Verständnis für den Schutz geistigen Eigentums – das geht zu weit. […] Das Internet hat den Geist der Freiheit um die Welt wehen lassen, wie sich das zuvor kaum jemand hat vorstellen können. […] Dahinter gibt es keinen Schritt zurück. Eine Verrechtlichung des Internets muss möglich sein, ohne bewährte Grundsätze von Meinungs- und Informationsfreiheit zu verletzen. Das technische System des Internet muss geschützt werden vor beliebigen Eingriffen, und seien sie im Einzelfall auch noch so verständlich. Es ist auch nicht hinzunehmen, das Eingriffe von den USA aus in das Adresssystem des Internet für andere Staaten automatisch ebenso gelten. Es gibt ein übergeordnetes, internationales Interesse an rechstaatlichen Verfahrensweisen. Der US-„Piracy Act“ in dieser Form muss gestoppt werden.
Gerade bei diesem Thema zeigt sich, wie weit eine nationale Gesetzgebung und die moderne Gesellschaft in der Praxis voneinander getrennt sind. Selbstverständlich muss es Rechte-Inhabern möglich sein, gegen Piraterie ihrer Produkte vorgehen zu können. Die Probleme der Musikindustrie in den letzten Jahren zeigen deutlich, wie massiv die Auswirkungen von Raubkopien etc. sein können. Doch ist das Grund genug, sich dem Druck der US-Filmindustrie zu beugen und damit Freiheitsrechte einzuschränken?
Auch via Post lassen sich Raubkopien versenden – führt das aber dazu, dass die Post pauschal auf einfachem Verdacht hin die Zustellung der Postsendungen einstellen resp. an jemand anderen weiterleiten kann? Wie wäre die Reaktion der Bevölkerung, wenn ohne richterliche Anordnung einfach die eigene Telefonleitung abgeschaltet werden könnte? Diese US-Gesetzesentwürfe gehen eindeutig zu weit! Daher ist dieser Blackout-Day sehr zu begrüssen und findet hoffentlich auch über das Web hinaus Gehör.
Geschrieben von Frank-Andre Thies
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